Ein Wintermärchen

Lassen Sie uns heute das Augenmerk auf eine Staatsanwältin lenken, die bisher nur in den Randnotizen unserer Erzählungen verweilte (die Gründe werden im folgenden Text offenkundig): Michèle Pamela Schaufelberger. Sucht man ihren Namen in den Weiten des World Wide Web, so offenbart sich wenig bis nichts über sie: Keine Masterarbeiten, keine Freizeitvergnügen wie Piano oder Golf, keine Weggefährten, die sich für unsere Vorträge anmelden, und keine Likes für Social-Media-Beiträge von Oberrichtern (jeden einzelnen).

Da bleibt uns nichts Anderes übrig als auf unsere eigenen, bescheidenen Erfahrungen zurückzugreifen. Es war Frau Schaufelberger, die das Ruder in die Hand nahm, als Johannes Brunner kurz vor Einbruch des Winters inmitten eines gewaltigen Arbeitsbergens schier nicht mehr atmen konnte und daher Hans-Peters Fall schwersten Herzens abgeben musste. Schon zu Beginn des Verfahrens, noch bevor sie auch nur einen Zeugen vernommen hatte, schien sie genau zu wissen, wie dieses Drama seinen Höhepunkt finden würde – nämlich in einer Anklage vor Gericht. Doch in Hans-Peter regte sich damals bereits ein verschwörerischer Gedanke, der besagte, dass diese glanzvolle Idee vielleicht nicht nur Frau Schaufelbergers Geist entsprungen sein mochte (ein rein subjektiver Schluss, gezogen aus einer Vielzahl von Hinweisen, und keineswegs offiziell bestätigt, Frau Schaufelbergers Seelenleben ist nämlich nicht so simpel und leicht durchschaubar wie ein Groschenroman, sodass sie sich nicht ständig verplapperte und in Widersprüche verhakte wie es andere Ihresgleichen tun).

Das, was Hans-Peter in seinen Begegnungen mit Frau Schaufelberger erfahren durfte, erweist sich als wahres Kuriosum innerhalb Staatsanwaltschaft Schaffhausen: ein Hauch von Kompetenz. Es sei festgehalten, dass sie sich sogar – mit Ausnahme der bedingungslosen Umsetzung der Anweisung, sämtliche Verfahren in Richtung Anklage zu lenken – größtenteils an die Gesetzesvorschriften gehalten hat, fast zu schön, um wahr zu sein – wie im Märchen.

Sie hat es sogar – man glaubt es kaum – geschafft, eine neutrale Attitüde an den Tag zu legen. Sie konnte unterscheiden, wobei es sich um nicht beantwortungsbedürftige Eingaben handelte und wo es sich um Anträge handelte und konnte diese beantworten. Während ihre männlichen Kollegen sich in cholerischen Ausbrüchen ergingen, falls jemand es beispielsweise wagte, ihre magistralen Abhandlungen zu hinterfragen oder in Einvernahmen zu fragen, warum man nackt festgehalten zwei Stunden kein Wasser (“SiE hAbEn 200 MiLLiLitEr erhalten!!!11!”) und Toilettenpapier erhielt (“DaS hAT NiCHTs MIt DeM VeRfAHreN zU TuN!!!!11!!!elf!!), bewahrte Frau Schaufelberger stoisch ihre neutrale Haltung.

Es sei hervorgehoben, dass sie diese Fassung sogar aufrechterhalten konnte, obwohl sie zweifellos weitaus größeren Strapazen ausgesetzt war als die Herren der Staatsanwaltschaft, wie etwa bei einer sechs Stunden andauernden Vernehmung bis 20 Uhr an einem Freitagabend.

Es bleibt der puren Spekulation überlassen, warum Frau Schaufelberger mit ihrer Kompetenz, Gesetzestreue sowie ihrer erfrischende Abstinenz bezüglich emotionaler Exzesse in der Bearbeitung ihrer Fälle oder auch ihre Fähigkeit, ihre Verfahren zu führen, ohne sich von der etwaigen Antipathie gegenüber einer Partei leiten zu lassen, so sehr von der “Schaffhauser Praxis” abweicht.

Möglicherweise findet die Erklärung in Herrn Stichers Welt der exklusiven Zirkel wie den Zünften (wir sind nun übrigens offizielle Quelle bei Wikipedia, wo nun auch Peter Sticher Erwähnung findet), Scaphusianern oder gar den ehrwürdigen Großkatzenvereinen, ihr Dasein, zu welchen Frauen bekanntlich keinen Zutritt haben (es sei denn natürlich sie sind Teil des Jungfrauenrodels) und daher eventuell tatsächlich aufgrund ihrer Kompetenzen eingestellt werden.

Gewiss, ein einzelnes funktionierendes Rädchen vermag kein zerbrochenes Uhrwerk zum Laufen zu bringen, aber es ist doch sehr tröstlich zu wissen, dass zumindest ein Teil nicht dringend ersatzbedürftig ist.

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