Ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Videoaufnahme mit verschiedenen Personen darauf und Ihre Aufgabe ist es, die Personen, die allesamt in einer Abteilung Ihres Unternehmens arbeiten, zu identifizieren. Dafür werden Sie bezahlt. Wie lange brauchen Sie? Stunden? Tage? Wochen?
Monate oder Jahre! Dachte sich der Staatsanwalt Steven Winter, der nach einem halben Jahr Untätigkeit vom Vize-Zunftmeister/Ersten Staatsanwalt Peter Sticher höchstpersönlich damit betraut wurde, die Polizisten, die Häftlinge im Schaffhauser Gefängnis gewaltsam nackt ausziehen, bevor sie sie in eine Gummizelle werfen, zu identifizieren.
Wir alle wissen, dass die Uhren bei den Behörden etwas langsamer ticken und ab und an auch gar nicht, aber bevor man nun voreilige Schlüsse zieht: Steven Winter musste bei dieser schier unlösbaren Aufgabe sehr gewieft vorgehen, denn die Polizisten, die ja selbst jahrelange Erfahrung in Kriminalität…also natürlich mit Kriminellen…haben, waren äusserst geschickt vorgegangen und hatten in weiser Voraussicht nur ihr Gesicht, nicht aber ihr Namensschild in die Überwachungskamera gehalten: Die höchste Führungsebene der Polizei aka der Abteilungsleiter, Richard Stäheli, wurde im Juli 2022 damit beauftragt, die Ganoven dingfest zu machen, man könnte auch sagen “seine Angestellten, mit denen er jeden Tag zusammenarbeitet zu identifizieren”. Während draussen also die Sonne aufs Dach brannte und die Luft vom süsslichen Duft nach Sonnencreme gefüllt war, machte er sich ans Werk. Er tüftelte und tüftelte, wer es denn sein könnte, den er da vor sich auf dem Bildschirm sah; die Tage zogen ins Land, die Blätter färbten sich bunt und fielen tänzelnd von den Ästen herab, Richard Stäheli derweil starrte mutmasslich immer noch mit angestrengtem Gesichtsausdruck und gerunzelter Stirn ratlos auf die Videoaufnahmen (vielleicht sogar, während die Gesuchten hinter ihm mit einem nunmehr warmen Kakao in der Hand, denn die Tage waren schon kühler geworden, den neuesten Tratsch und Klatsch austauschten).
Der Duft der Sonnencreme war schon längst dem weihnachtlichen Odeur von Lebkuchen und Zimt gewichen, als es ihm im Dezember endlich wie Schuppen von den Augen fiel. Steven Winter erstellte natürlich augenblicklich Vorladungen, als er die Identitäten der fehlbaren Gesetzeshüter vernahm.
Durch das unermüdliche Engagement und die vereinten Kräfte der höchsten Führungsebene von Polizei und Staatsanwaltschaft konnte das Unmögliche möglich gemacht werden und die drei nach wie vor jeden Tag ein-und ausgehenden Personen in der Kameraaufnahme bereits etwas mehr als ein Jahr nach der Tat identifiziert und befragt werden.
Steven Winter tat bei der Befragung, was jeder ehrbare Staatsanwalt zuerst tun würde und sorgte dafür, dass das Opfer, pardon, der Geschädigte auch ja das Telefon ausschaltet, dafür musste ihm leider bei einer Befragung das Teilnahmerecht verwehrt werden, aber es gibt nunmal keine grossen Siege ohne Opfer…äh… Geschädigte.
Die drei Polizisten indes waren vorbildlich vorbereitet. Obwohl die höchste Führungsebene der Polizei, die von Steven Winter zur Identifizierung auserkoren wurde, angehalten war, die Beschuldigten, die selbstverständlich nur als Auskunftspersonen vernommen wurden, nicht über den genauen Vorwurf aufzuklären und Herr Winter extra eine Akteneinsicht verwehrt hatte, damit auch ja niemand sich einen Informationsvorsprung hat, und obwohl keiner von allen den Geschädigten je gesehen haben will, kannten ausnahmslos alle die interne Regelung, die zum Verstoss gegen das Folterverbot instruiert, auswendig, einer der strebsamen Ordnungshüter hatte die Regelung sogar ausgedruckt und die relevanten Stellen, von denen er, wenn er die Wahrheit sagt, nicht wissen sollte, dass sie relevant sind, markiert und separat notiert.
Verdächtig? Das fand auch Staatsanwalt Winter und hat ihm daraufhin just gezeigt, was in Schaffhausen passiert, wenn man sich als Polizist potenziell des Verstosses gegen das Folterverbot schuldig macht und bei der Befragung beim Lügen ertappt wird: Gnadenlos dem Recht verpflichtet und ohne Rücksicht auf Verluste bat Herr Winter ihn, diese Notizen aufzubewahren, damit man sie später dann evtl. als Beweis gegen ihn verwenden kann.