Obergericht, Versuchte Vorsätzliche Tötung: In Dubio Contra Reum & Umgekehrte Beweislast

Am Freitag, 10. November 2023 um 08:15 Uhr fand eine öffentliche Verhandlung des Obergerichts Schaffhausen statt. Es ging um versuchte vorsätzliche Tötung.

Die Gerichtsbesetzung war Eva Bengtsson, Killian Meyer, Oliver Herrmann sowie Carla Schmid.

Beschwerdegegnerin war eine Beschuldigte, vertreten durch Rechtsanwalt Cedric Müller.

Beschwerdeführerin war die Staatsanwaltschaft bzw. Staatsanwältin Vanessa Rütsche.

Um was ging es in Kürze?

Eine ältere Dame wurde der versuchten vorsätzlichen Tötung beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ihr Ehemann durch sie mit einem Messer in ihrer gemeinsamen Wohnung verletzt wurde.

Der Ehemann kann sich an nichts erinnern, da er zum Tatzeitpunkt alkoholisiert war und beschuldigt auch nicht seine Ehefrau für die Tat, sondern kann sich nicht vorstellen, dass sie das getan haben könnte.

Es wurde ein “grosses” Messer von der Staatsanwaltschaft in Beschlag genommen: Die Tatwaffe befand sich ungewaschen(!) im Waschbecken, hatte aber keine Blutspuren daran, sondern lediglich die DNA der Ehefrau (aber nicht die DNA des Opfers??). Obwohl es ganz normal ist, dass die DNA der Ehefrau auf so ziemlich jedem Gegenstand in ihrer Wohnung zu finden sein sollte, geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass dieses ungewaschene Messer, ohne Blutspuren, die Tatwaffe sein sollte 😂

Die Ehefrau war zum vermuteten Tatzeitpunkt nicht zu Hause und kehrte erst am nächsten Tag wieder heim.

Prozessgeschichte in Kürze

Die Staatsanwaltschaft brauchte dringend eine Beschuldigte und prompt war halt das erstbeste Opfer… pardon… Täter auch schnell gefunden: Die Ehefrau soll es gewesen sein.

  • Handfeste Beweise? Keine.
  • Zeugen? Auch nicht. Aber eine Nachbarin gab an, mehrere Männerstimmen gehört zu haben.
  • Tatmotiv? Wieder nichts. Bzw. laut der Staatsanwaltschaft “Sie haben sich manchmal gestritten:”
  • Wird die Ehefrau vom Ehemann beschuldigt? Auch wieder Fehlanzeige.

Die Staatsanwaltschaft war sich der versuchten vorsätzlichen Tötung durch die Ehefrau sicher. Der Prozess begann am Kantonsgericht Schaffhausen, welches die Ehefrau in dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten) freisprach.

Die Staatsanwaltschaft bzw. Vanessa Rütsche war sich – trotz Mangel an Hinweisen, Beweisen, Motiven etc. – immer noch sehr sehr sicher, dass die Ehefrau es war und zog das Urteil an das Obergericht weiter.

Das Obergericht verurteilte die Frau zu einer Gefängnisstrafe, wovon mindestens 4 Monate unbedingt geleistet werden müssen.

Warum erhielt die Ehefrau nur 4 Monate unbedingt Gefängnisstrafe, wenn sich das Obergericht doch so sicher ist? Sollte versuchte vorsätzliche Tötung nicht höher bestraft werden?

Lob an Oliver Herrmann

Oliver Herrmann war der einzige Richter, der Fragen stellte, die so etwas wie Substanz hatten… Während Killian Meyer und Eva Bengtsson Fragen stellten, die eigentlich die Staatsanwalt bereits hätte stellen sollen (z.B. wurde “Wo waren sie” mindestens drei Mal an der Verhandlung gefragt), jedoch – im Vergleich – waren die Fragen von Oliver Herrmann bei Weitem besser: An seinen Frage merkte man schnell, dass er sich mit dem Sachverhalt beschäftigt und die Akten auch gelesen hatte, denn er stellte Fragen zu Widersprüchen, Verdächtigem Verhalten usw. Vielleicht lag es auch daran, dass Oliver Herrmann als einziger Schweizerdeutsch sprach, während die anderen alle Hochdeutsch sprachen: Entsprechend mussten die anderen Schweizer Richter ihre Gedanken – welche sie auf Schweizerdeutsch denken – ins Hochdeutsche (Pseudo-Amtssprache) übersetzen, Oliver Herrmann konnte diese direkt stellen und war somit schneller im Denken. Vielleicht ist es natürlich auch eine Frage der Intelligenz.

Hinweis: Die Ehefrau (Beschuldigte) sowie ihr Ehemann (Opfer) haben teilweise selbst darum gebeten, die Verhandlung auf Hochdeutsch zu führen, da sie Ausländer sind. Der Ehemann erhielt sogar eine Übersetzung.

Fazit

Nun, obwohl keine Beweise vorhanden waren, wurde die Beschuldigte ganz nach der Schaffhauser Praxis “in dubio contra reum” (zu Deutsch: Im Zweifel gegen den Angeklagten) schuldig gesprochen.

Gegen Ende klopften sich die Richter gegenseitig auf die Schultern, da sie ja wieder Gerechtigkeit hergestellt hatten. Zwar wird normalerweise die Unschuldsvermutung (in dubio pro reo) im Strafrecht angewandt und gilt als Garantie des Rechtsstaats, gemäss Schaffhauser Praxis wird hier eben die Schuldvermutung (in dubio contra reum) angewandt.

Die Schuldvermutung macht z.B. in Verwaltungsrecht/Steuerrecht durchaus Sinn: So ist jeder von uns verpflichtet dem Steueramt seine Finanzen offenzulegen, ansonsten wird vermutet, dass Steuern hinterzogen werden.

Die Schuldvermutung kann gemäss EGMR auch im Strafrecht angewandt werden, jedoch benötigt es dafür starke Indizien z.B. ein stichfestes Motiv oder unschlagbare logische Zusammenhänge (z.B. auf einer Bootstour wurden alle Beteiligten ausser eine Person getötet).

Die Schaffhauser Praxis erlaubt viel mehr als nur die Unschuldsvermutung zur Schuldvermutung zu kehren, so ist es auch auch möglich, die Beweislast zu kehren, z.B. muss nicht der Staat deine Schuld beweisen, sondern du musst jederzeit dafür sorgen können, deine Unschuld zu beweisen, ansonsten das Gericht einfach deine Schuld vermutet.

Vanessa Rütsche ist stellvertretende Leitende Staatsanwältin der Allgemeinen Abteilung.

Gemäss Schaffhauser Praxis gilt die Unschuldsvermutung nur für Behördenmitglieder, deren Verwandte und Bekannte, aber nicht für das Fussvolk.

Vor dem Recht sind nun mal alle gleich und einige gleicher.

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