Stossendes in Schaffhausen

Es ist etwas Stossendes in Schaffhausen passiert. Nein, nicht, dass Häftlinge wie Tiere nackt festgehalten werden – und Staatsanwaltschaft, Regierungsrat und Kantonsrat eifrig nicken -, es war etwas viel Stossenderes: Das Bundesgericht hat es in 7B_54/2023 tatsächlich gewagt, die Schaffhauser Praxis in Frage zu stellen: Jemand, der des Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz beschuldigt war, hat sein Telefon versiegeln lassen (Wir erinnern uns: Versiegeln ist das, was gewisse Polizisten dereins als “Das können Anwälte machen” erklärten), ein versiegeltes Telefon muss auch physisch versiegelt werden (so dass man ohne Siegelbruch nicht daran herankommt), die Polizei und Staatsanwaltschaft haben dabei eine klassische Sticher’sche Drehung vorgenommen und das Telefon zwar angeblich nicht geöffnet, es aber mit einem Datenkabel “zum Aufladen” verbunden. Die Argumente der Staatsanwaltschaft (btw: Wieso wird in Bundesgerichtsurteilen eigentlich der Anwalt namentlich genannt, der Staatsanwalt jedoch nicht?) waren wie immer umwerfend: Sinngemäss:

a) Anders kann man Telefone nicht aufladen (ist erfunden)

b) Es sei “geradezu stossend, dass Polizei und Staatsanwaltschaft unter den Generalverdacht des Siegelbruchs i.S.v. Art. 290 StGB gestellt würden, wäre doch eine unbemerkte Entschlüsselung des Sicherheitscodes und mithin ein unbemerkter Datentransfer als Umgehung des Siegels und damit als Siegelbruch zu qualifizieren.”…

Heisst in Übersetzung: “WIE KÖNNT IHR ES WAGEN ZU BEHAUPTEN, DASS WIR – die, die von Berufs wegen jeden anderen in Generalverdacht, ein Vergehen/Verbrechen begangen zu haben, stellen, selbst wenn das einzige Indiz für einen beispielsweise Drogenhandel ist, dass eine legale Substanz an dessen Adresse bestellt wurde; die uns undokumentiert mit dem Obergericht absprechen; ein Jahr lang “vergessen” Durchsuchungsbefehle für bereits erfolgte Durchsuchungen auszustellen oder sie nicht abgeben, “weil wir es nicht öffnen konnten”, nachdem man es vorher wochenlang beschlagnahmt hatte; 6 Monate keinen Finger krümmen, wenn die Polizei Leute nackt auszieht; Argumente für potenziell Beschuldigte erfinden; unsere Freunde dazu anstiften, Privatkläger auszuforschen; unsere Arbeitszeit damit verbringen, Wikipedia-Artikel zu zensieren; undokumentierte Ermittlungen tätigen und dann Nichtanhandnahmeverfügungen erlassen; ganze Straftaten nicht ermitteln, eingeschriebene Briefe als “leer” empfangen, aber den Absender nicht informieren; Verfügungen nicht im Original unterschreiben; Protokolle unvollständig führen und zur Tarnung das Protokoll nicht lesen lassen; unsere Verwandten in von Steuergeldern bezahlte, neu geschaffene Stellen hieven; Akten während der gesamten Beschwerdefrist vom Bundesgericht zurückhalten; Leute nackt ausziehen und ohne Licht, Wasseranschluss, Klopapier und Heizung festhalten; Leute ohnmächtig liegen lassen; Straftaten erfinden, um davon abzulenken, dass wir jemanden wegen verweigerter Maske festgenommen haben; Zeugen erfinden; Durchsuchungsbefehle und Vorführungsbefehle nicht richtig oder gar nicht vorzeigen und nicht in die Akten legen; DNA ohne Befugnis abnehmen, ohne Vergleichsproben zu haben, obwohl sich die Person weigert und anschliessend die dazugehörigen Urkunden zu unterdrücken; befangen spielen und die Anzeige nicht aufnehmen, wenn man einen von uns anzeigen will, aber kein bisschen befangen spielen und fleissig ermitteln, wenn einer von uns jemanden anzeigt; 200 CHF fordern, wenn selbst der erfundene Schaden ein Biss in die Jacke und ein Sprung über 2 Stufen war; interne Akten bei Hausdurchsuchungen liegen lassen; verweigern, Dinge an Befragungen zu protokollieren, die für uns ungünstig sein könnten; Rechte falsch erklären; Anwälte und Ärzte verweigern; mündliche Eingaben für bestimmte Personen verweigern, die uns nerven, weil wir ein Jahr brauchen, um Personen auf einem Video zu identifizieren, mit denen wir jeden Tag zusammenarbeiten; Leute unter Generalverdacht stellen, Verleumdung zu betreiben, um ihnen die Akten nicht geben zu müssen; Tonbandaufnahmen ein Jahr lang nicht abgeben bzw. teilweise gar nicht abgeben, und nicht weiter nachfragen, obwohl man in Videos sieht, dass jemand die Gegensprechanlage benutzt hat, Privatklägern Fragen verweigern, das aber nicht protokollieren, Privatklägern Videos nicht zeigen, “weil die anderen Beteiligten sie auch noch nicht sehen dürfen”, sie gleichzeitig denen aber vorspielen, während man den Privatkläger der Einvernahme verwiesen hat, nachdem dieser das Handy nicht ausschalten wollten, von dem man befürchtete, dass es die äusserst neutralen Ermittlungen aufzeichnen könnte (wobei man nur den Privatkläger dazu aufforderte, weil man ihn – oh Wunder – unter Generalverdacht einer Straftat stellt; auf Fristerstreckungsgesuche nicht antworten; Zellen “verwechseln”, wenn man dadurch Beweise nicht erheben muss und…….- Wo waren wir? Achja: “WIE KÖNNT IHR ES WAGEN ZU BEHAUPTEN, DASS WIR!!!! WIR!!!! UNS NICHT AN DIE REGELN HALTEN?!!!!11!!1!?!!”

Warum das Bundesgericht von diesem Argument nicht so überwältigt war, dass es ein zünftiges Entschuldigungsschreiben für diese ungeheure Unterstellung, wie sie der Staatsanwaltschaft eigentlich gebührt, verfasst hat statt einer Abweisung der Beschwerde (die Staatsanwaltschaft war Beschwerdeführerin), ist unklar. Sie sind wohl einfach noch nicht vertraut genug mit der der StPO überlegenen Schaffhauser Praxis, genau wie strafprozess.ch, der seine Unkenntnis so ausdrückt:
“Es gibt immer noch Strafbehörden, welche gesiegelte Mobiltelefonie durch eine Öffnung im Behältnis an ein Ladekabel anschliessen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons SH hat sogar versucht, ihre Praxis mit reichlich verunglückten Argumenten vor Bundesgericht zu legitimieren.”

Aber keine Sorge, liebe Bürger, das sture Beharren darauf, die Schaffhauser Praxis über das Gesetz zu stellen und wohlgemerkt wider besseren Wissens (es wurde bereits in früheren Entscheiden festgehalten, wie ein verdiegelter Gegenstand aufzubewahren ist) vor das Bundesgericht zu ziehen, weil man es “geradezu stossend” findet, dass für einen selbst die gleichen Regeln gelten wie für alle anderen, hat den Schaffhauser Steuerzahler diesmal nur 1’744.85 CHF gekostet. Peanuts im Vergleich zu den (bald zu erhöhenden, da dem Kanton eingefallen ist, dass man gern noch einen Stock mehr hätte) 93 Millionen CHF für den Neubau des Schaffhauser Gefängnisses/Polizei/Staatsanwaltschaft, einem der teuersten Gefängnisse in der Schweiz. Allerdings ist dieser Preis wirklich nötig, wir alle wissen ja, wie besorgt Gefängnis, Polizei, Staatsanwaltschaft, Kantonsrat und Regierungsrat um die Menschenrechte im Gefängnis Schaffhausen sind, nicht wahr? 😉

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