Eine heitere Begebenheit ereignete sich 2013 in der beschaulichen Stadt Schaffhausen, als eine Anti-Folterkommission das örtliche Gefängnis inspizierte. Neben einigen anderen Empfehlungen, wie man das Gefängnis menschenwürdiger gestalten könnte (man gab damals an, 2018 sei der Bau des neuen Gefängnisses, welcher bis heute nicht begonnen wurde, beendet), folgte auch ein anderer Hinweis zur Gummizelle. Diese ist eine ganz besondere, in fröhlichem Grau-Pink gestaltete Zelle im Gefängnis Schaffhausen, auch Pinkzelle genannt – ein Ort der Isolation und Kontemplation, der sich zu einem wahren Mekka der Behaglichkeit entwickelt hat. Die Kommission war überaus erfreut zu sehen, dass den Gefangenen in Schaffhausen ein derart luxuriöser Ort der Ruhe zur Verfügung steht, dass man fast in Versuchung geraten könnte, selbst dort einzukehren (einige von uns hatten das Vergnügen ja bereits), hatte aber natürlich den eigentlichen Zweck der Gummizelle nicht vergessen: die vorübergehende Unterbringung von Gefangenen, die eine Gefahr für sich selbst darstellen – und bat trotz allem darum, ein Reglement für die Nutzung dieser Zelle, mit der man in Schaffhausen laut damaliger Aussage “gute Erfahrungen gemacht hat”, zu erlassen.
Der Regierungsrat machte sich selbstredend gleich ans Werk und…delegierte. Ein Regelwerk für das Wohl und Wehe der Gummizelleninsassen sei schon in Auftrag gegeben worden, berichtete er triumphierend in seiner Stellungnahme.
Das vorgeschlagene Regelwerk für die Gummizelle umfasst eine Reihe von Annehmlichkeiten, die den Aufenthalt der Insassen angenehmer gestalten sollen. Um jemanden, der Selbstmordintentionen verpürt, bestmöglich auf seiner Reise zu begleiten, hat man allem Anschein nach ins von der Anti-Folterkommission verlangte Reglement die gegen das Folterverbot verstossende Regel aufgenommen, dass man die Person nackt ausziehen und festhalten solle – wenn nötig mit Gewalt.
Der schnelle Denker wird sich nun selbstverständlich fragen, warum man nicht einfach reissfeste Kleidung benützt – so wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon seit etwa 20 Jahren vorschlägt – die Antwort drängt sich diesem aber genau rasch auf: Die reissfeste Kleidung in Schaffhausen ist leider zerreissbar.
Wollen wir das Glas aber nicht halbleer sehen: Der Gefangene, seiner Freiheit scheinbar beraubt, erlebt hier eine völlig neue Form der Freiheit, nämlich den eigenen Körper, von Kleidung unbekümmert ungestört in einem elastischen Raum zu bewegen, soziale Normen über Bord werfend, denn auch das andere Geschlecht kommt ab und an vorbei, um sich von der Blösse zu überzeugen – und ein Glas Wasser vorbeizubringen, weil man das Wasser ausgeschaltet hat. Auch von der manchmal ermüdenden Aufgabe, sich den Hintern nach dem Klogang abzuwischen, wird man in Schaffhausen buchstäblich befreit, denn es gibt kein Toilettenpapier in dieser Zelle. Möchte man diesem primitiven Habitus nachgehen, muss man sich ein paar Blätter des nicht nur zu Corona-Zeiten Luxusguts via Gegensprechanlage bestellen. Hans-Peter wurde jedoch auch von diesem sozialen Druck entbunden, denn die Gegensprechanlage wurde ihm ebenfalls ausgeschaltet.
(Die Frage, warum man kein Toilettenpapier erhält, wollte der unbefangene Verfahrensleiter Steven Winter übrigens zunächst nicht zulassen, das hat er aber vergessen, im Protokoll aufzuschreiben. Schade, dass wir keine Aufnahme davon haben.)
Ganz abgesehen von diesen beinahe schon Spa-Behandlungen wird der Gefangene, der in Hans-Peters Fall ursprünglich ja ausserdem erst dort gelandet ist, weil er das Tragen einer essentiellen Bedeckung – einer Hygienemaske in seiner Wohnung – verweigert hat, mittels Entzug sämtlicher Bedeckungen mit vorzüglichster Ironie zur Reflektion angeregt.
Da Dunkelheit entspannend wirkt, wird dann auch gleich das Licht in der mehr oder minder fensterlosen Zelle ausgeschaltet, so wird die Auseinandersetzung mit dem Ich noch einmal mehr befeuert. Der zweite Grund ist angeblich, dass in Schaffhausen die Gegensprechanlage nicht funktioniert, wenn das Licht bedient wird. Auch die Elektrophysik beugt sich der Schaffhauser Praxis.
Der bahnbrechende Ansatz, Selbstmordabsichten durch den nackten Einschluss ohne Licht und ohne Wasser
(Diese Formulierung gefällt dem unbefangenen Verfahrensleiter Steven Winter überhaupt nicht, denn es waren verdammt nochmal 200ml Wasser!!!!! in mehreren Stunden, weswegen er die Frage in der Einvernahme pikiert nicht zulassen wollte, wenn es nicht umformuliert wird)
und selbstredend ohne Toilettenpapier, welches bekanntermassen für 97% aller Selbstmorde verantwortlich ist, zu kurieren, ist neuartig und wird derzeit unseres Wissens nur in Schaffhausen angewendet. Innovativ! Wie alles in Schaffhausen.