Verstoss gegen das Folterverbot in Schaffhausen

Das Mittelalter ist in Schaffhausen allgegenwärtig. Wenn man sich in der Innenstadt umtreibt, schlendert man vorbei an mittelalterlichen Zunftstuben, altehrwürdigen Regierungsgebäuden und blickt auf den thronenden Munot. Am Rande schliesslich findet man die burghaft anmutenden Gemächer der Staatsanwaltschaft samt Polizei und Gefängnis. Bereits 2013 hat man der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter zugesichert, dass spätestens 2018 ein neues Gefängnisareal, daneben sollen auch Polizei und Staatsanwaltschaft situiert werden, gebaut worden sein soll, denn die Räumlichkeiten sind selbst für Häftlinge nicht mehr zumutbar. Nun, 5 Jahre später, hat man mit dem Bau zwar noch nicht angefangen, aber für Schaffhauser Verhältnisse ist man damit noch recht zügig unterwegs.

Mittelalterlich ist allerdings nicht nur die Schaffhauser Baukunst, sondern auch die des Rechts, die hierzulande tatsächlich mehr Kunst als Wissenschaft ist und der Polizei, dem Gefängnis und der Staatsanwaltschaft erlaubt, ihre kreative Ader auszuleben.

Zurück in den Dezember 2021. Monate vorher war eine Chemikalie – an Frau Nichtschweizer adressiert – am Zoll abgefangen worden, damals war besagte Chemikalie noch legal. Der eifrige Jungstaatsanwalt Johannes Brunner, auch bekannt als Sender und Fesch und offizieller Rüger der Schneiderszunft, – unten sehen wir ihn (1. von links) – liess sich jedoch davon nicht abhalten: In den historischen Gemäuern setzte er – vermutlich während das Wachs an einer ihm Licht spendenden Kerze Tropfen für tropfen der Schwerkraft erlag – seine Feder an und tat das, was ein Rüger nun einmal zu tun berufen ist: Er rügte, indem er seine Gendarmen den Hügel hinauf gen Buchthalen sandte. Die Seriosität, mit der er seiner Profession nachgeht, war ihm – wie wir sehen – als junger Bursche schon ins Gesicht geschrieben.

Kennen Sie das sonderbare Gefühl zwischen den Jahren? Weihnachten ist vorbei, der Weihnachtsbaum aber noch nicht abgebaut, das alte Jahr hat nichts mehr herzugeben, das Neue hat aber noch nichts geboten. Nicht umsonst verbinden abergläubische Menschen ganz besonderes mit den Raunächten, Tiere sollen zu sprechenden Orakeln werden, Frauen (selbst die, die nicht im Jungfrauenrodel der Schneiderszunft geführt werden) an Kreuzgängen ihre zukünftigen Bräutigame sehen, weisse Wäsche darf nicht auf die Wäscheleine gehängt werden, weil es die wilden Reiter anzieht und überhaupt sollen die Menschen von Dämonen, Geistern und Trollen heimgesucht werden.

Hans-Peter und Gretel Nichtschweizer konnten ob solcher Torheit nur lachen, bis sie am Morgen des 29. Dezember selbst heimgesucht wurden.

Die vier Gendarmen waren so begeistert am Werke wie die Nichtschweizers über deren Besuch; während zwei Letztere bewachten, der eine besorgt um den Ausblick von Hans-Peter bzw. um die Versperrung dessen, die andere besorgt um den Kreislauf von Gretel, Pascal Hofstetter die leere Schachtel im Blick behielt, sich nach dem Aufenthaltsort der Katzen erkundigte und ansonsten die Anwesenden mit seiner Bescheidenheit und Bodenhaftung beglückte (“ICH HAB IHNEN NICHT ERLAUBT MICH ZU DUZEN!”), hatte einer der vier, Thomas Steinemann, die undankbare Aufgabe, wirklich zu arbeiten und den Abstellraum zu durchsuchen. Seine Wut darüber konzentrierte er auf die Kartons, die dort gelagert wurden und klärte Gretel sogleich in empörtem Ton darüber auf, dass Kartons brennbar seien, das Haus aus Holz sei und beendete die neuen Informationen mit der rhetorischen Frage, womit sie das denn löschen wolle. Dass er die Antwort “Mit einem Feuerlöscher” nicht kommen sah und nur perplex “Haben Sie denn einen?” erwidern konnte, lässt uns an der Einhaltung der Feuersicherheitsvorschriften in seinem eigenen Haus direkt um die Ecke zweifeln, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein, ein “solcher” Nachbar reicht doch.

Der Klarheit halber beenden wir die Hausdurchsuchung, bei der Pascal Hofstetter fast ums Leben gekommen wäre (Wurde er wirklich in die Jacke gebissen und wenn ja, ist sie geimpft?) und fahren mit Hans-Peters Verhaftung fort, die nur zufällig (das Zeit-Raum-Kontinuum im Nichtschweizer-Haushalt ist zuweilen etwas instabil) noch vor dem Treppenstolperer-äh, der böswilligen Attacke auf Hofstetters Leben – und unmittelbar auf die Weigerung Hans-Peters, eine Maske zu tragen, folgte.

Mit den Händen unter der Sitzfläche zusammengebunden und auf die Frage, ob man ihn ernsthaft wegen des Nichttragens einer Maske verhaften wolle (alleine für diese absurde Frage hätte er in den Kerker geworfen werden sollen, Covid TÖTET und Hofstetter hatte dem Tod an diesem Tag nun wirklich oft genug ins Antlitz geblickt), warf man ihm noch Drohungen vor. Hans-Peter begegnete diesem Vorwurf mit einem Geständnis (wie dumm kann man sein?), nämlich dass er die vier Gendarmen unbefugt aufgezeichnet hatte und man darauf höre, dass sie nicht bedroht wurden. Grosszügigerweise verzichteten sie auf eine Anzeige dieses Verbrechens und lösten es – wie wir mittlerweile wissen – mit einem eleganten Schachzug.

Nachdem Thomas Steinemann, offenbar immer noch Kartons vor Augen sehend, ihn abgeführt hatte, wurde Nichtschweizer sogleich in Handschellen aufs Polizeirevier verbracht. In Schaffhausen wird Sicherheit ernst genommen, daher wurde er gleich einmal zur Kontrolle nackt ausgezogen; während der anschliessenden Wartezeit nervte er die anwesenden Beamten etwas mit seiner aufdringlichen Forderung nach einem Anwalt und wurde gleich in die nächste Zelle gebracht. Nachdem er auch dort nicht zufriedenzustellen war, brachte man ihn in die Gummizelle. Nun ist es so, dass man in der Gummizelle nur nackt sein darf, das verstösst zwar laut dem Europäischen Gerichtshof gegen das Folterverbot in den Menschenrechten [1], ABER Hans-Peter hat wirklich sehr genervt. Diese absolut gerechtfertigte Reaktion auf das Nichttragen einer Maske – äh einen Anschlag auf das Leben eines Polizisten – wollte Hans-Peter nicht auf sich sitzen lassen und weigerte sich kurzum, seine Kleidung freiwillig auszuziehen. Dem unbändigen Häftling begegnet man in Schaffhausen jedoch professionell und so zog man ihn einfach gewaltsam aus und steckte ihn in der Folge nackt in die Gummizelle. Weil die Nervensäge anschliessend das Licht ein-und ausschaltete, stellte man ihm das ab und damit er keine Dummheiten mit dem Wasser macht, stellte man ihm auch dieses ab inkl. Toilettenspülung. Und Toilettenpapier ist auch überbewertet, das gab es nämlich auch nicht.

Hans-Peter sass also – in Schaffhausen eine übliche Reaktion auf die Widerspenstigkeit, den berechtigten Bitten von Gesetzeshütern nachzukommen – nackt im Dunkeln in einer Zelle ohne Trink- oder Spülwasser. Er verlangte per Sprechanlage nach einem Arzt und einem Anwalt, so als wäre man verpflichtet, ihm einen zu geben – also THEORETISCH ja, aber die Schaffhauser Praxis weicht ab. Kurz war er ausserdem auch ohnmächtig, aber wo kommen wir denn hin, wenn man jedem dahergelaufenen nackten Typen, dem man stundenlang Wasser verweigert, einen Arzt schickt, nur weil er ohnmächtig ist…Die Beeinträchtigung dieses beinahe schon Wellness-Aufenthalts ist jedenfalls laut Staatsanwalt Steven Winter als gering einzustufen.

Zwei Stunden später wurde Nichtschweizer von Daniel Schwendener noch einmal nackt durch den Korridor geführt und befragt, auch dort wirkte er äusserst unkooperativ, was verwunderlich ist, sind Gefangene doch normalerweise nach Verstössen gegen das Folterverbot viel zugänglicher und empfänglicher für gut gemeinte Vorschläge.

Am Tag darauf wollten die Nichtschweizers dieses Verhalten anzeigen und machten sich auf zum Polizeirevier. Dort lehnte man die Anzeige ab, denn wenn man Polizisten anzeigen will, ist in Schaffhausen das ganze Polizeirevier befangen. Das hielt sie zwar nicht ab, einen Tag vorher Befragungen durchzuführen und eine Anzeige aufzunehmen, als der Polizist Hofstetter Geschädigter war, aber man kann seine Meinung doch mal ändern. Man könne das bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Konnte man zwar an diesem Tag nicht, da die Staatsanwaltschaft zwischen Weihnachten und Neujahr aus unerfindlichen Gründen geschlossen ist, aber auch das ist nur ein marginales Hindernis auf dem Weg zum Recht.

Als man endlich die Staatsanwaltschaft darüber informieren konnte, wurde sofort gehandelt. Johannes Brunner hat Lorenz Ammann, der ebendiese Behandlung angeordnet hat (und wer wäre besser geeignet zur Beweissicherung, wir schlagen ihn an dieser Stelle auch gleich als Richter vor), sogleich mit der Beweissicherung beauftragt. Die Kameraaufnahmen und die Tonaufnahmen und ausserdem die Tonaufnahmen des Notknopfes sollten herausgegeben werden. Leider – und obwohl die Kameras Mikrophone hatten – gab es keine Tonaufnahmen; kooperativ wie er war, sicherte er Herrn Brunner – Anfang Januar 2022 – jedoch zu, die Tonaufnahmen des Notknopfes so schnell wie möglich herauszugeben und wenn sich Lorenz Ammann einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, verfolgt er dies mit eisernem Willen…auch im November 2022 war er noch dabei, die Tonaufnahmen des Notknopfes zu sichern, dies führte der Staatsanwalt Steven Winter im November als Argument heran, als der Querulant Hans-Peter die Staatsanwaltschaft der Rechtsverzögerung bezichtigte.

Nachdem die Beweise im Januar 2022 gesichert waren bzw. zumindest dass grosse Indianerehrenwort, sie abzugeben, von Lorenz Ammann eingeholt wurde, machte die Staatsanwaltschaft sich an die Arbeit. Schon im Juni, also sechs Monate nach der Tat, fand Peter Sticher in Herrn Steven Winter aus der Verkehrsabteilung einen geeigneten Verfahrensleiter.

Hans-Peter war ob der Geschwindigkeit, mit welcher das Verfahren nach der Übernahme durch Herrn Winter vorangetrieben wurde, so verwirrt, dass er eine Rechtsverzögerungsbeschwerde vor dem Obergericht einreichte. Herr Winter konterte diesen Vorwurf souverän mit einer Auflistung seiner Amtshandlungen, die wir im Folgenden sehen:

Die Rechtsverzögerungsbeschwerde, die eigentlich, wenn man diese Effizienz vor Augen geführt kriegt, ohnehin hinfällig wäre (Nein, liebes Obergericht, dies stellt nicht den Rückzug der Beschwerde dar), wird nun seit 5 Monaten beurteilt. Verzögert wird sie dadurch, dass das Obergericht durch ein anderes Schriftbild der Unterschrift auf dem vor 6 Monaten persönlich überbrachten Schreiben verunsichert war, ob denn wirklich Hans-Peter die Beschwerde eingereicht hat und eine Stellungnahme dazu benötigte.

Nichtschweizer wies Steven Winter und Peter Sticher mehrmals darauf hin, dass man ihm gesagt habe, jeder würde ausgezogen in dieser Zelle und dies wahrscheinlich auch mit anderen Gefangenen passiere und dass ausserdem ein Register existierte, in dem jeder, der diese Zelle benutzte, aufgeführt sei. Diese begegneten dem Hinweis auf regelmässige Verstösse gegen das Folterverbot in einem Gefängnis mit der gebotenen Aufmerksamkeit und ignorierten sie.

Bereits ein Jahr nach der Tat wurden die Polizisten, die auf den Kameraaufnahmen zu sehen sind, befragt, sie alle gaben geschlossen an, dass man halt nun mal nackt sein müsse in dieser Zelle, das sei in einer internen Regelung festgehalten und überhaupt würden sie persönlich schon mehrmals pro Jahr solche Einsätze (=Leute nackt ausziehen) durchführen. Dass man auf einer Kamera zu sehen ist und es gesteht, reicht in Schaffhausen freilich nicht, damit man sich von der Auskunftsperson zum Beschuldigten wandelt. Es reicht auch nicht, um den Geschädigten als Opfer zu bezeichnen (Hofstetter wurde demgegenüber nach dem angeblichen hinterhältigen Überfall auf seine Jacke and die Opferstelle verwiesen), aber es reicht, damit man das Opfer, pardon, den Geschädigten nicht an Einvernahmen teilnehmen lässt, wenn er sein Telefon nicht ausschaltet (gilt natürlich nicht für den Beschuldigten…äh die Auskunftsperson, und sämtliche Energie darauf verwendet, dass er die Kameraaufnahmen nicht erhält.

Glücklicherweise gibt es, für den Fall, dass die Justiz versagt, noch Regierungsräte, bei denen man sich beschweren kann, hier wurden Cornelia Stamm-Hurter, Vorsteherin des Finanzdepartements, dem die Polizei angehört und Dino Tamagni, Vorsteher des Vokswirtschaftsdepartements, dem das Gefängnis angehört, darüber informiert, dass in einer mysteriösen Polizeiverordnung und in einer noch mysteriöseren Gefängnishausordnung (die eigentlich beide öffentlich sind, aber es gibt offensichtlich interne) eine Handlungsanweisung festgeschrieben ist, die gegen die Menschenrechte verstösst und diese immer noch praktiziert wird. Beide haben vorbildlich reagiert und darauf hingewiesen, dass die Staatsanwaltschaft ja bereits ermittelt, dabei aber geflissentlich ignoriert, dass diese betreffend eines einzelnen Vorfalls ermittelt und die Vorschrift aufrechterhalten bleibt. Die Staatsanwaltschaft fühlt sich demgegenüber nicht in der Verantwortung, die Vorschriften anzuprangern.

Und so kommt es, dass in Schaffhausen – wie es einer mittelalterlichen Stadt gebührt – munter weiter gegen das Folterverbot verstossen wird, mit Segen der Staatsanwaltschaft, des Obergerichts, das ebenfalls darauf hingewiesen wurde, und der beiden Regierungsräte Cornelia Stamm-Hurter und Dino Tamagni. Aber sind ja nur Häftlinge und jeder von denen hat es irgendwie verdient, wenn man bedenkt, was für Gräueltaten sie sich teilweise haben zuschulden kommen lassen…beispielsweise die Gefährdung einer unschuldigen Jacke oder das Nichttragen einer Maske in der eigenen Wohnung, während die Polizei mehr eine feuerpolizeiliche Durchsuchung als sonst etwas macht.

Nun denn, dieser Text ist leider mehr absurd als lustig, noch absurder ist, dass sich bis heute nicht einer der Polizisten, die allesamt darauf hingewiesen wurden, dass ihr Verhalten verboten ist, beispielsweise an einem runden Tisch entschuldigt hat und dass die gesamte Entschädigung, die bis jetzt erhalten wurde (nachdem das Verfahren, wegen dessen überhaupt alles veranstaltet wurde, eingestellt wurde) 25 CHF je Person sind. Herr Winters Frage, was Hans-Peter denn eigentlich wolle, erscheint vor diesem Hintergrund geradezu kindlich-naiv und Hans-Peter wird sich, stets die 25 CHF Entschädigung als angeblichen Gerechtigkeitsausgleich vor Augen, weiter durch sämtliche Instanzen mühen müssen, um durch Bestrafung der Täter und Anstifter Gerechtigkeit zu erfahren.

Fussnoten

[1] Judgment of application no. 20999/05, Hellig against the Federal Republic of Germany; Judgment of application no. 25196/94, Iwanczuk against Poland; Judgment of application no. 70204/01, Frérot v. France; Judgement of application No. 82284/17, Jeanty v. Belgium; BGer 1B_176/2016 vom 11. April 2017; BGer 1B_115/2019 vom 18. Dezember 2019

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