Eine kurze Geschichte einer delegierten Einvernahme

Thomas ist ein Polizist mit einem wachsamen Geist. Er hat eine besondere Gabe, die ihm dabei hilft, verdächtiges Verhalten sofort als solches zu identifizieren. So war es auch an diesem nebligen Februartag, als er eine delegierte Einvernahme durchführen sollte.

Die Vorladung war schon etwas holprig, da der Beschuldigte sich starrköpfig weigerte, seinen Part der Schaffhauser Praxis zu übernehmen. Kosten-und umweltbewusst hatte Thomas ihn nämlich per E-Mail vorgeladen; um beim E-Mail-Versand Strom zu sparen, bat er ihn auch gleich, der Mitbeschuldigten auszurichten, dass sie ein Teilnahmerecht habe. Schon daran scheiterte es und Thomas musste einen Brief versenden, umweltbewusst wie er war, hat er auch hier darauf verzichtet, die Mitbeschuldigte zu informieren. Gott sei Dank erlaubt es die Schaffhauser Praxis, dass der Mann stellvertretend für die Frau ihre Rechte abtreten kann und so konnte die Einvernahme doch durchgeführt werden, denn sowohl der Beschuldigte als auch dessen Anwalt waren damit einverstanden, dass die Mitbeschuldigte ihr Teilnahmerecht nicht wahrnehmen kann. So begann die Einvernahme.

Eine findige Frage nach der anderen warf Thomas dem Beschuldigten um die Ohren, der Ehrgeiz, der sich bei Thomas, der die Einvernahme im schneidigen Läufertrikot durchführte, wohl durch alle Lebensbereiche zog, war stets spürbar: Hier sass kein Mann, der es als Pflicht ansieht, Menschen ins Gefängnis zu bringen, hier war Leidenschaft am Werk! Ein Wechselbad der Gefühle, von Himmel Hoch jauchzend, wenn er meinte, den Schurken ertappt zu haben über zu Tode betrübt, wenn er es doch nicht hatte bis hin zur blanken Empörung, als dieser es wagte zu behaupten, dass seine Frau schneller laufe als er. (Für’s Protokoll, tut sie nicht! Sie schneidet in ihrer Alters-und Geschlechtsklasse besser ab als er.)

Als die Einvernahme schon fast beendet war, passierte jedoch etwas Sonderbares. Während Thomas mit dem Anwalt des Beschuldigten vergnügt plauderte, begann der Beschuldigte, das Protokoll vorzulesen. Laut (wenngleich er Thomas’ Pläuschchen immer noch nicht übertönen konnte)! Wort für Wort! In Thomas’ Kopf ratterte es; Das Unverständnis in seinem Gesicht wich rasch der Entrüstung, die sich breit machte. Niemand, der seine Füsse unter seinen Einvernahmetisch stellte, liest einfach so. Ganz besonders nicht laut und erst recht nicht Wort für Wort. Dieses elitäre Verhalten musste bestraft werden und so forderte er den Beschuldigten auf, sein Handy zu zeigen. Durch seine jahrelange Tätigkeit bei der Polizei wusste er nämlich: Lesen verspricht Unheil… Hier konnte Vorlesen – wie Wort für Wort lesen auch genannt wird – nur bedeuten, dass das Gespräch aufgezeichnet wird. Wohl um zu verhindern, dass die ehrenrüchigen Aussagen wie, dass seine Frau schneller als laufe, nach aussen drangen, musste er handeln. Der Beschuldigte weigerte sich und wies ihn darauf hin, dass er einen Durchsuchungsbefehl brauche. Thomas erreichte glücklicherweise gleich den Staatsanwalt Johannes Brunner, der mit ihm darin übereinstimmte, dass Lesen nichts Gutes verspricht und “Wort für Wort vorlesen” ein äusserst verdächtiges Verhalten darstellte (dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass Herr Brunner das Wort für Wort lesen selbst vermutlich nicht praktiziert, daher auch die seltsame Rechtschreibung), er erlaubte Thomas, das Handy zu durchsuchen. Dieser liess sich das nicht zwei Mal sagen, war jedoch irritiert davon, dass der Beschuldigte weiter darauf beharrte, dass er das Telefon nicht durchsuchen dürfe und darauf verwies, dass Thomas seine Fingerabdrücke darauf hinterlassen würde. Gewitzt wie er war und ausgestattet mit Jahren an Kontakt mit krimineller Energie, wusste er sich jedoch zu helfen und zog seinen Ärmel über seine Finger, drückte einen Knopf, nichts passierte, den zweiten Knopf, nichts passierte, den dritten Knopf und es erschien…ein normal aussehender Sperrbildschirm, auf dem “kein Hinweis auf ein unbefugtes Aufnehmen gefunden werden konnte”. Es ist unbekannt, ob er sich (zu Unrecht!) etwas dumm vorkam, aber ohnehin wäre es zu spät gewesen, denn sein Fingerabdruck wurde bereits gespeichert und er beantragte bis heute nicht die Löschung.

Da Durchsuchungsbefehle ja schriftlich ausgestellt werden müssen oder zumindest nachträglich schriftlich bestätigt werden, wenn sie aufgrund einer Dringlichkeit mündlich ausgestellt wurden – als Beispiel für eine derart dringende Situation seien etwa Mord, Vergewaltigung, Entführung oder ein Polizist, der sich mit einem lesenden Beschuldigten konfrontiert sieht, genannt – wartete der Beschuldigte auf den schriftlichen Durchsuchungsbefehl. Tage strichen ins Land, Wochen, Monate, immer wieder fragte er danach, aber wie es in Schaffhausen üblich ist, verhallten die flehenden Worte in den burghaften Gemächern der Staatsanwaltschaft unerhört. Als Thomas im Januar eine Anzeige in Aussicht stellte, spürte die Staatsanwaltschaft vermutlich aufgrund ihrer ausserordentlichen Empathie, dass es jemandem nicht gut ging; durch ihre fast ausserirdische Kommunikationsfähigkeit konnte die Verfahrensleiterin Michèle Schaufelberger das Signal erhalten, dass es um einen Durchsuchungsbefehl ging und prompt entdeckte sie in den Akten, dass tatsächlich ein Durchsuchungsbefehl fehlte. Da man einen Durchsuchungsbefehl offensichtlich nicht ohne Strafverfahren ausstellen kann, wurde schnell eines im Zeitraffer durchgeführt, festgestellt, dass kein Strafantrag vorliegt und zeitgleich mit dem Durchsuchungsbefehl, den Johannes Brunner nun schriftlich ein Jahr nach der Durchsuchung ausstellte, wurde auch schon die Einstellung des zuvor nicht existenten Strafverfahrens angekündigt.

Herr Brunner, der das Verfahren ja in der Zwischenzeit an Frau Schaufelberger abgetreten hatte, hatte den Durchsuchungsbefehl vergessen auszustellen. Das Strafverfahren wurde augenscheinlich ebenfalls vergessen und der Strafantrag wohl auch. Formalien halten einen pfiffigen Staatsanwalt mit Ambitionen zum Ersten Staatsanwalt wie Johannes Brunner aber nicht davon ab, Durchsuchungsbefehle auszustellen, das hat er bereits mehrmals bewiesen. Und Frau Schaufelberger, die Zeit ihres Lebens behauptete, man könne keine Verfahren teileinstellen, hatte plötzlich eine neue Superkraft und konnte es doch.

Wow, wer hätte gedacht, dass Schaffhausen – Der Kanton der unbegrenzten Möglichkeiten! – solch talentierte Superhelden wie Frau Schaufelberger hervorbringt? Vielleicht sollten wir alle nach Schaffhausen ziehen, um von ihren Kräften zu profitieren. Oder einfach nur, um uns von Herrn Brunners Vergesslichkeit unterhalten zu lassen.

9 thoughts on “Eine kurze Geschichte einer delegierten Einvernahme”
  1. […] Nun, für normale Menschen mag das durchaus üblich sein, dass man beim Vorlesen eben “Wort für Wort” vorliest, aber laut Herrn Brunner selbst stellt das laute “Wort für Wort” vorlesen ein sehr ungewöhnliches Verhalten dar und deutet darauf hin, dass derjenige das Gespräch aufnimmt, deshalb hat er ja auch genau aus diesem Grund einen Durchsuchungsbefehl ausgestellt, wie schaffhausen-info.com bereits hier berichtet hat. […]

    1. Das Kompliment gebührt vielmehr der Staatsanwaltschaft selbst, welche ihre dramaturgischen Klagen stets nach Treu und Glauben so gestalten, dass Richterinnen sachrelevante Ereignisse nicht nachvollziehen können; nötigenfalls indem die Akten (nach Schaffhauser Praxis) bei anderen Behörden wie z.B. der Polizei verloren gehen … äh pardon, “jederzeit in den Polizeisystemen auffindbar sind”.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert