Martin Bürgisser – Der alternative Staatsanwalt

Wirtschaft liegt Peter Sticher in den Genen. Dieses Talent erkennt man schon alleine daran, dass sein Sohn es zum ersten Wirtschaftsberater einer Staatsanwaltschaft in der Schweiz gebracht hat – und das im zarten Alter von Anfang 20. Dieses gar seltene Geschick kommt aber auch in seiner Personalauswahl zum Tragen. 

Neben dem offiziellen Rüger der Schneiderszunft hat er auch Andreas Zuber, gegen den immer noch eine Anklage wegen Amtsmissbrauchs hängig ist (oder ist es inzwischen endlich verjährt?) ins Boot geholt, heute soll es aber um ein anderes seiner Asse gehen, mit denen er in Schaffhausen für Recht und Ordnung sorgt: Martin Bürgisser, der einzige verbliebene alternative…ähm ausserordentliche Staatsanwalt. Wenn man ihn googelt (wir wollen ihm zumindest zugutehalten, dass er seine Ergebnisse im Gegensatz zum Rüger Brunner und Zuber nicht aus Google entfernen liess), kommt ganz oben die Frage “Wie doof darf ein Staatsanwalt sein?”. In Schaffhausen gibt es diesbezüglich zu unser aller Glück keine Grenze nach oben und so dürfen wir uns heute mit ihm beschäftigen.

Zunächst einmal: Wer ist Martin Bürgisser? Er ist ausserordentlicher Staatsanwalt und damit in Schaffhausen der letzte seiner Art. In seinem letzten Leben war er Oberstaatsanwalt in Zürich, dann hatte er jedoch mit lästerlichem Reden hohe Mächte – die Rede ist nicht von Göttern, sondern von Blocher – verärgert und muss nun in Schaffhausen bei den übrigen verdammten Seelen unter Leitung des Beelzebu…pardon Pucks Busse tun und sich mit Hans-Peter & Co. beschäftigen, bis seinen Sünden genüge getan wurde.

Wir haben uns nun ja schon hinreichend darüber beschwert, dass Staatsanwälte und Polizisten Anschuldigungen erfinden, um Unschuldige eines Verbrechens zu bezichtigen. Aber es geht auch anders. Wenn man den Ehrgeiz, unbescholtene Bürger ins Gefängnis zu bringen, irgendwann hinter sich gelassen hat, kann man sich gegen Ende der Karriere in einer Fertigkeit üben, die allzu lange zu kurz gekommen ist: Die Nichtanhandnahmeverfügung. Diese ist für Bürgisser, was dem Brunner die zwielichtigen Durchsuchungsbefehle und dem Zuber die undokumentierten Ermittlungen: sein Steckenpferd, nicht nur Beruf, sondern Berufung.  Er ist der Held der Erfindung, der Picasso des Schaffens von Tatsachen, der Shakespeare des Schliessens von Augen und Ohren. Mit einem Augenzwinkern erzählt er von Dingen, die es niemals gab, von Beweisen, die er niemals hatte, von Verdächtigen, die er niemals kannte.

Die Wahrheit ist dabei stets nur eine Option von vielen: Getreu Pippi Langstrumpfs Motto “Ich mach mir die Welt wiede wiede wie sie mir gefällt” passt er nämlich nicht etwa seine Argumente der Realität an, sondern die Realität seinen Argumenten. Dabei ging seine Fantasie – wenn er sich in einen regelrechten Rausch der Rechtsverweigerung geschrieben hatte, zwar das eine oder andere Mal so sehr mit ihm durch, dass er aus Versehen die Wahrheit kundtat – beispielsweise Zubers undokumentierte Ermittlungen -, das hält ihn aber nicht davon ab, weiterhin in seiner magischen Welt zu schwelgen und dem Fantastischen zu frönen. 

Eines Tages trug es sich zu, dass Hans-Peter Nichtschweizer sich wieder einmal unrecht behandelt fühlte. Etwa 5x hatte er nach einem Dokument über seine DNA-Abnahme bei der Polizei gefragt, die Staatsanwaltschaft hatte ebenfalls danach gefragt und der Polizist wollte und wollte es einfach nicht herausrücken. “Das ist Unterdrückung von Urkunden!” sagte er sich mit der Naivität, die ihn manchmal noch überkommt, wenn er über das Gesetzbuch liest und voller Zuversicht, den Schuft endlich bestraft zu sehen, zeigte er es an. 

Einige Wochen bis Monate rottet die Anzeige in der Staatsanwaltschaft vor sich hin, bis sie schliesslich auf Martin Bürgissers Schreibtisch landet. Es war nicht die Erste, die er abschmettern sollte, aber wenn man seine Arbeit liebt, wird sie nie zur Gewohnheit und so behandelte er jede Anzeige, die es nichtanhandzunehmen galt, als etwas Besonderes.

In seinem Büro in der Verkehrsabteilung, in der er sich warum auch immer niedergelassen hatte, sass er hinter einem grossen, mit Akten überhäuften Schreibtisch und starrte auf das Blatt Papier vor ihm. “Unterdrückung von Urkunden” prangte darauf. Es war eine Anzeige, die ihn zum Nachdenken brachte. Die Antwort darauf kannte er freilich schon, aber der Pfad, der ihn zur Nichtanhandnahme geleiten sollte, war noch etwas vernebelt. Wie konnte er sie bloss ablehnen und den Polizist ohne eine einzige Rüge davonkommen lassen?

Er stützte sein Kinn in die Hand, strich bedächtig mit einem Fingern über seine Lippen und betrachtete das Papier, als würde es ihn auffordern, es zu verbrennen. Aber Martin Bürgisser, der listige Schelm, hatte andere Pläne. Er würde eine Nichtanhandnahmeverfügung schreiben, die so überzeugend war, dass niemand auf die Idee käme, sie anzufechten.

Er kratzte sich am Kopf und dachte nach. Vielleicht könnte er behaupten, dass das Gesetz nicht für Polizisten gelten würde? Oder vielleicht, dass es gar keine Urkunde war, um die es hier ging.

Als er so in Gedanken versunken war, hörte er plötzlich ein krachendes Geräusch. Reflexartig drehte er sich um und erspähte einen Stapel Akten, der vom Schreibtisch gerutscht war und sich auf dem Boden verteilte…”Die ganzen Akten durcheinander”, murrte er. Doch statt sich zu ärgern, lächelte er verschmitzt. Jetzt wusste er, was zu tun war…

Er zückte sein Federkiel und schrieb eine Nichtanhandnahmeverfügung, die so absurd war, dass er sich beim Schreiben vor Lachen schüttelte. Diese spezielle Verfügung, die Hans-Peter unterdrückt wissen will, weil sie nicht an die Akten gegeben wurde, müsse in Tat und Wahrheit nicht in den Fallakten aufbewahrt werden, dichtete er herbei. Genau die sei eigentlich ganz woanders aufzubewahren. Aber wo? Auf der Suche nach dem perfekten, nicht zu hinterfragenden Platz für gerade diese Verfügung schaute er sich hektisch im Büro um. Sein Blick fiel auf sein Wasserglas, aus dem er zuvor getrunken hatte und dessen Rand noch ein wenig verschmiert war und erneut durchfuhr ihn ein Geistesblitz: Das war es! Die Verfügung, mit der man eine DNA-Abnahme anordnet, muss selbstverständlich bei den DNA aufbewahrt werden. Eine Woge der Euphorie, die er immer verspürte, wenn er gerade erfolgreich eine legitimierte Arbeitsverweigerung durchgesetzt hatte, durchflutete ihn. 

Er legte das Papier auf den Stapel der Nichtanhandnahmeverfügungen, drei Viertel davon für Hans-Peter – er sammelte sie dort, um sie, wenngleich in verschiedenen Umschlägen, auf einmal abzuschicken -, und lehnte sich zurück, um sein Werk zu bewundern. 

Hans-Peter, der den Humor der Staatsanwaltschaft zwar schätzte, den die Sturheit aber doch ab und an vor Gericht trieb, reichte, nachdem er eine Ladung Nichtanhandnahmeverfügungen erhalten hatte, eine Beschwerde vor dem Obergericht ein. Er gab sich Mühe, die Argumente Bürgissers zu widerlegen, zitierte Gesetze und die Basler Kommentare, die sonst von Juristen wie die Bibel verehrt werden und in etwa gleich viel wie das ewige Seelenheil kosten, zitierte sogar die Polizei selbst, die keine Anhaltspunkte gab, dass ebendiese Verfügung anderenorts aufbewahrt werde. 

Das Obergericht – wie es in einem Rechtsstaat üblich ist – bat ihn zunächst um eine Zahlung von 800 CHF, bevor es sich mit Bürgissers poetischen Ausschweifungen befasste. Nachdem das Schutzgeld…ähm der Kostenvorschuss eingegangen waren, erfragte es von Martin eine Stellungnahme. Dieser las sich die Argumente durch, sie entlocken ihm aber lediglich ein müdes Lächeln und einen nostalgischen Moment, als er an die Zeit zurück dachte – damals vor seinem Jura-Studium – als er noch an das Rechtssystem glaubte. Er gluckste leicht vor sich hin und tat das, was er in seinen Jahren in der Staatsanwaltschaft, welche regelmässig sowohl passiv als auch aktiv in Verbrechen involviert ist, gelernt hatte, eine Strategie, die viel zu wenige Verbrecher kannten. Seine Erfahrung im Rechtssystem lehrte ihn zwei Dinge: 1. Sag am besten gar nichts. 2. Egal, was du tust und auch wenn du beim Lügen erwischt wirst: Weiche niemals von deiner Geschichte ab!

Den ersten Ratschlag befolgte er seit eh und je akribisch: Wenn beispielsweise Hans-Peter Hilfe bei der Interpretation seiner Dichtungen benötigte, erwiderte er darauf, während er Hans-Peters Frage beantwortete, dass er keine Korrespondenz führe. Der zweite Ratschlag kam zum Tragen, wenn der erste nicht befolgt werden konnte, weil beispielsweise nicht ein Hans-Peter, sondern das Obergericht nach einer Antwort fragte. Und so schrieb er – mit einer Überzeugung, als glaubte er es selbst – noch einmal, dass dieses Dokument doch niemals in die Fallakten gehörte. Wie ein Magier bei seinen Tricks mit Handbewegungen die Aufmerksamkeit des Publikums lenkt, so beherrschte auch Martin Bürgisser die Blendung wie das Atmen: Schon abstrus seien diese Anschuldigungen, dass eine Urkunde von einem Polizisten unterdrückt werde, wenn er diese nicht abgebe. Ohnehin habe Hans-Peter die DNA-Abnahme nie verweigert, das sei aktenkundig. An dieser Stelle musste Martin kurz innehalten und herzlich lachen, denn mit “aktenkundig” meinte er, dass der Beschuldigte selbst geschrieben hatte, dass er kein Verbrechen begangen hatte und zwar auf das Blatt, das die Polizei, die selbst meinte befangen zu sein, was in einer anderen glorreichen Nichtanhandnahme von Martin sogar abgesegnet worden war, Zuber nach einem ominösen Telefonat gegeben hatte. Dabei ignorierte er geflissentlich die etwa zwei Dutzend Male, in der Hans-Peter beklagt hatte, dass man ihn zur DNA-Abnahme gezwungen hatte.

Manchmal überkamen Martin kurze Momente des Zweifels, wenn er so unverfroren log, doch diese verflogen schnell, war es doch weniger eine Lüge als selektive Wahrnehmung und war es schliesslich diese, die uns Menschen von Maschinen unterschied und sowieso allgemein bekannt, dass die meisten – so auch das Obergericht – die Realität gar nicht kennen wollten und man niemanden glücklicher machen könne als indem man seine Vorurteile bestätigte. Es war etwas Gutes, das er getan hatte und so schüttelte er diese unangenehmen Gedanken ab wie man seinen Schuh schüttelt, wenn man aus Versehen in einen Hundehaufen getreten war: Nicht immer elegant, aber überzeugt davon, das Richtige zu tun. 

Nun sollte er eine Weile Ruhe vor Hans-Peter haben. 

Tage und Wochen zogen ins Land, als erneut ein Schreiben von Hans-Peter Nichtschweizer hereinflatterte. Die Tinte schon bereitgestellt, öffnete er es angeregt, schliesslich wusste er, was zu tun war und hatte gerade noch eine freie halbe Stunde, um eine Nichtanhandnahmeverfügung auszufertigen. Als er jedoch das Schreiben erblickte, stöhnte er. 67 Punkte waren aufgelistet, müsste er diese nun alle einzeln nichtanhandnehmen? Der Aktenberg, den er beiziehen müsste, türmte sich schon vor seinem geistigen Auge. Es war einer dieser Augenblicke, in denen er sich fragte, ob er nicht genug gelitten hatte und sich wünschte, er hätte nie Blochers Weg gekreuzt. Seufzend überlegte er: Er war zwar gut, aber 67 Ausreden auf einmal waren selbst für ihn eine Herausforderung und wie sollte er all das in die halbe Stunde, die er sich vorgenommen hatte, zwängen? Er dachte und dachte, aber es wollte ihm schlicht nichts einfallen, als er im Eck seines Büros eine alte Flasche eines Spätburgunders bemerkte, die noch vom vorletzten Weihnachten dort stand. Das Hochgefühl der erfolgreichen Arbeitsverweigerung rollte wieder an, aber er musste etwas tun, das er schon lange nicht mehr getan hatte: Er musste ein Verfahren eröffnen. Aber halt, natürlich würde dies nicht bedeuten, dass er Hans-Peter in irgendeiner Weise das geben würde, was er wollte, nein! Er würde – für diesen Geniestreich musste er sich selbst auf die Schulter klopfen – das Verfahren sistieren, bis alle anderen Verfahren, in denen Hans-Peter irgendetwas zu schaffen hatte, abgeschlossen waren. Bei dem Tempo, das die anderen Staatsanwälte vorlegten, dürfte er bis dahin in Rente sein. und ein anderer Verdammter dürfe sich durch die Aktenberge von Hans-Peters Monologen wühlen. “Es besteht die Gefahr von sich widersprechenden materiellen Wahrheiten”, schrieb er… “Alternative Fakten” zeichnete er auf’s Papier, während er ob seines eigenen Talentes staunte. Abermals lehnte er sich zurück, betrachtete grinsend sein Kunstwerk, mit dem er …”Die Gerechtigkeit ist wie ein edler Wein – sie braucht Zeit, um ihre volle Reife zu erreichen.”, murmelte er, bevor er die Sistierungsverfügung auf den für Hans-Peter vorgesehenen Stapel von Nichtanhandnahmeverfügungen legte. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber irgendwann würde irgendwer auch in diesen 67 Punkten Hans-Peters Rechte verweigern, dessen war er sich sicher.

Zufrieden stand er auf, schloss seinen Aktenkoffer und löschte das Licht. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um: Der Stapel von Nichtanhandnahmeverfügungen für Hans-Peter auf seinem Schreibtisch, gekrönt wie von einem Sahnehäubchen durch die Sistierungsverfügung, wurde umrahmt vom dahinterliegenden Fenster und glühte durch das hineinscheinenden Abendrot beinahe, es sah in seiner epischen Ansicht aus wie ein impressionistisches Gemälde.

“Wunderschön”, seufzte Martin, erleichtert wie man es nach getaner Arbeit eben ist und erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit, dass sein Leben im Jenseits des Zürcher Oberstaatsanwaltschaftsdaseins neben all der sisyphos’schen Arbeit, mit der er noch immer für seine Sünden büsste, doch auch Platz für solch paradiesisch anmutenden Eindrücke bot, ging hinaus und schloss die Tür.

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